Versicherer müssen ein neues Risiko einpreisen: nämlich die „Gefahr“, dass der Kunde eine Frau ist und damit tendenziell länger lebt. Deshalb werden Verträge künftig für viele Versicherte teurer.

Der Blick in die Vergleichstabellen ist für manche Frau ernüchternd: Sie müssen für eine Rentenversicherung oft deutlich höhere Beiträge zahlen als Männer, um im Alter dieselbe monatliche Rentenzahlung zu erhalten. Das mutet vielleicht ungerecht an, hat aber aus Sicht der Versicherer einen einfachen Grund: Frauen leben länger – und beziehen somit länger die Rentenzahlungen.

Mit der Aufgliederung nach Mann und Frau ist spätestens ab dem 21. Dezember 2012 Schluss. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Versicherer künftig für beide Geschlechter gleiche Tarife anbieten müssen. Was bedeutet das für Versicherungskunden? Wer sollte jetzt noch einen Vertrag unterschreiben, wer sollte lieber warten? Darüber diskutiert heute die Branche auf der Handelsblatt-Tagung „Assekuranz im Aufbruch“.

Für Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten ist die Antwort klar: „Verbraucher sollten sich auf keinen Fall verrückt machen lassen, diese oder jene Versicherung jetzt noch schnell abzuschließen.“ Entscheidend sei, zunächst einmal die grundlegenden Fragen nüchtern abzuwägen, etwa ob man überhaupt eine Rentenversicherung abschließen will oder ob es sinnvoll ist, von der gesetzlichen in die private Krankenversicherung zu wechseln. Falls ja, könne man sich überlegen, ob man mit dem jetzigen Tarif oder einem künftig angebotenen Unisex-Tarif günstiger fährt.

Bei der privaten Rentenversicherung, der Berufsunfähigkeitsversicherung und der staatlich geförderten Rürup-Rente zahlen Frauen bisher höhere Beiträge für geringere monatliche Rentenzahlungen. Wenn die Versicherer dies nun angleichen müssen, erwarten viele Experten, dass es für Frauen nur ein bisschen günstiger, aber für Männer deutlich teurer wird.
Hier könnte sich also gerade für Männer noch ein rechtzeitiger Abschluss lohnen. Dies zeigte sich bereits bei der Riester-Rente: Bei dieser ebenfalls staatlich geförderten Rentenform gelten bereits seit 2006 Unisex-Tarife.
Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sind die Beiträge der meisten Männer daraufhin gestiegen, im Gegenzug aber nur für wenige Frauen leicht gesunken – ein wichtiger Grund, warum das DIW in der aufsehenerregenden Studie zu dem Ergebnis kommt, dass sich die Riester-Rente für viele heute kaum noch lohnt.

Die Versicherungsbranche versucht zu erklären, warum die Vergünstigungen geringer ausfallen als die Preisanhebungen: „Wir wissen nicht, ob mehr Frauen als bisher eine Rentenversicherung abschließen werden; deshalb müssen wir eine Sicherheitsmarge einkalkulieren“, sagte der Chef der Allianz Lebensversicherung, Maximilian Zimmerer, jüngst in einem Interview.

Die Konzerne müssen in ihre Kalkulationen ein neues Risiko einpreisen – nämlich die „Gefahr“, dass der Kunde eine Frau ist und damit tendenziell länger lebt. Für jedes Risiko muss aber ein zusätzlicher Risikopuffer gebildet werden – somit muss also das Prämienniveau steigen, wie selbst Kritiker einräumen.

Wenn viele Kunden vorher sterben als wie es vorsichtig kalkuliert wurde, dann sind Versicherer verpflichtet, diese sogenannten Risikoüberschüsse an die Kunden auszuzahlen. Mindestens ein Viertel können sie allerdings einbehalten. Kleinlein geht daher davon aus, dass die Versicherer unterm Strich mit der Unisex-Tarifierung erheblich besser fahren werden als mit der jetzigen Aufsplittung. „Die Kritik in den letzten Monaten, das waren Krokodilstränen“, so Kleinlein.

Nicht nur bei Rentenverträgen, auch in der privaten Krankenversicherung wird das Unisex-Urteil einschneidende Änderungen mit sich bringen. Auch hier mussten Frauen bisher mehr zahlen. Statistisch gesehen werden Frauen nicht nur älter als Männer, sondern gehen auch häufiger zum Arzt, sagt eine Sprecherin der Gothaer. „Deshalb verursachen privat krankenversicherte Frauen langfristig gesehen mehr Kosten als Männer.“

In der privaten Krankenversicherung gibt es eine Besonderheit: Wer bereits privatversichert ist, darf in einen günstigeren Tarif beim selben Anbieter wechseln. Da die Unisex-Regelung nur für neue Verträge gilt, erwarten einige einen Exodus von Frauen raus aus dem Bestand hin zu den neuen Angeboten.

Genauso wie in der Rentenversicherung werden sich die Ersparnisse für Frauen aber in Grenzen halten. Vielleicht fallen sie sogar noch geringer aus, weil die Versicherer noch größere Sicherheitspuffer einplanen müssen. Für Männer wird es hingegen etwas teurer. „Bis 21. Dezember 2012 können sich Männer, die in die private Krankenversicherung wechseln möchten, die günstigeren Prämien der Alttarife sichern und so auf Dauer sparen“, sagt die Gothaer-Sprecherin.

Männer werden künftig nur bei wenigen Verträgen besser wegkommen, wenn überhaupt: In der KFZ-Versicherung zahlen junge Männer bisher höhere Prämien als Frauen, auch in der Risikolebensversicherung werden sie bisher stärker zur Kasse gebeten. Vielleicht können sie hier künftig profitieren.

Doch viele Versicherer haben die neuen Tarife noch lange nicht kalkuliert. „Es ist noch nicht absehbar, welche Effekte sich bei den einzelnen Produkten schlussendlich ergeben“, sagt ein Sprecher der Westfälischen Provinzial. Auch Verbraucherschützer raten davon ab, auf große Rabatte zu spekulieren. „Wenn man eine Versicherung abschließen will, geht es nicht um eine Schnäppchenjagd, sondern darum, Risiken abzusichern“, sagt der BdV-Vorsitzende Kleinlein.

Wer etwa eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen will, sollte dies möglichst bald tun und nicht erst in einem Jahr. Schließlich kann man jederzeit schwer erkranken. Und wer erst einmal vorerkrankt ist, dem bieten viele Versicherer gar keine Police mehr an. Egal, ob Mann oder Frau.

Quelle: Handelsblatt